Veröffentlicht in Träume.
Zwischen Traum und Technologie: Meine Erfahrungen mit KI-Traumanalysen
Geschrieben von Fabian Rojas am .
Träume – sie zeigen uns Elemente unseres Unbewussten und fordern uns mal sanft, mal deutlich auf, genauer hinzusehen, Entscheidungen zu treffen oder Situationen neu zu bewerten. Die Frage nach ihrer Deutung beschäftigt seit jeher viele – und findet mit Hilfe von KI eine neue, überraschende Antwort.
1. Die Magie des Träumens
Stell dir vor, du wachst auf, das Herz schlägt noch immer schnell. Eben noch bist du durch eine endlose Stadt geirrt, hast den Zug verpasst oder bist plötzlich geflogen – und nun liegst du da und fragst dich: Was wollte mir dieser Traum sagen?
Seit Jahrtausenden beschäftigen sich Menschen mit der Bedeutung ihrer Träume. Mal galten sie als Botschaften der Götter, mal als Schlüssel zum Unterbewusstsein. Heute greifen viele zu Traumlexika oder psychologischen Theorien. Doch so spannend diese Ansätze sind, sie bleiben oft zu allgemein, zu starr, zu weit weg vom eigenen Erleben.
Mich fasziniert besonders dieser Moment zwischen Traum und Erwachen: Da liegt eine Wahrheit verborgen, die wir nur selten sofort erfassen. Sie breitet sich aus wie eine kryptische Landkarte und wartet nur darauf, betrachtet und entschlüsselt zu werden.
Und hier kommt eine überraschende Idee ins Spiel: Künstliche Intelligenz als Partnerin in der Traumdeutung. Klingt vielleicht ungewohnt – schließlich ist KI kein Orakel. Aber sie kann etwas, das vielen klassischen Methoden fehlt: zuhören, Fragen stellen, deine Worte spiegeln und neue Perspektiven eröffnen. Keine fixen Symbole, kein „Das bedeutet immer X“, sondern ein kreativer Dialog, der dich näher an deine eigene Wahrheit heranführt.
2. Klassische Wege der Traumdeutung
Bevor ich den neuartigen Ansatz mit KI vorstelle, möchte ich kurz auf die klassischen Wege der Traumdeutung zurückkommen. Die folgende Übersicht ist bewusst knapp gehalten – sie soll nur einen Eindruck vermitteln, nicht alle Facetten abdecken.
Besonders prägend waren dabei die psychoanalytischen Schulen: Sigmund Freud mit seiner Idee vom Traum als verschlüsselter Wunscherfüllung und Carl Gustav Jung, der in archetypischen Symbolen eine universelle Bildsprache sah. Beide legten damit das Fundament moderner Traumdeutung – auch wenn ihre Ansätze nicht frei von Kritik sind.
Psychoanalytische Schulen
- Sigmund Freud: Sah Träume vor allem als „Wunscherfüllung“ – verschlüsselte Botschaften unseres Unterbewusstseins. Hinter den Traumbildern stecken verdrängte Wünsche, Ängste oder Konflikte.
- Vorteil: tiefenpsychologischer Zugang, der das „Verborgene“ sichtbar machen will.
- Nachteil: oft sehr auf Sexualität oder Kindheit fixiert, manchmal zu eng.
- Carl Gustav Jung: Legte mehr Gewicht auf kollektive Symbole und Archetypen. Ein Traum ist für ihn nicht nur persönlich, sondern Teil einer universellen Bildsprache.
- Vorteil: bietet eine reiche Symbolwelt und Sinn für das Große Ganze.
- Nachteil: manchmal sehr abstrakt und für den Alltag schwer greifbar.
Neben diesen tiefenpsychologischen Ansätzen gibt es auch einen viel direkteren Zugang: Traumlexika und Symbolbücher. Sie versprechen schnelle Antworten, indem sie einzelnen Symbolen feste Bedeutungen zuordnen – etwa Wasser, das für Gefühle stehen soll, oder Häuser, die das eigene Ich symbolisieren.
Traumlexika und Symbolbücher
- Ansatz: Bücher oder Webseiten, in denen Traumsymbole wie „Wasser“, „Fliegen“ oder „Haus“ erklärt werden.
- Vorteil: schnelle Orientierung, niedrigschwelliger Einstieg.
- Nachteile: sehr pauschal, wenig Bezug zur individuellen Lebenssituation. Ein Symbol wie „Wasser“ kann für die eine Person beruhigend sein, für die andere bedrohlich – das kann kein Lexikon abbilden.
Wer es persönlicher mag, versucht sich an der eigenen Symbolarbeit. Hier geht es weniger um fixe Bedeutungen, sondern darum, selbst Assoziationen zu entwickeln und Parallelen zwischen verschiedenen Träumen zu entdecken. Diese händische Suche ist zeitaufwendig, kann aber wertvolle Einsichten eröffnen.
Händische Symbolsuche
- Ansatz: Durch Tagebuchschreiben, Assoziationen, Vergleich mit anderen Träumen.
- Vorteil: sehr individuell, fördert Selbstreflexion.
- Nachteil: zeitaufwendig, und man verliert sich leicht in Details, ohne zum Kern zu kommen.
So unterschiedlich diese Wege auch sind – sie alle zeigen, wie stark die Sehnsucht nach Sinn im Traum verankert ist. Doch sie haben auch ihre Grenzen: Theorien bleiben oft zu starr, Symbolbücher zu pauschal, und die mühsame Eigenarbeit kostet viel Zeit und Geduld.
Gerade deshalb fasziniert mich der Gedanke, die klassische Traumdeutung um eine neue Perspektive zu erweitern: Künstliche Intelligenz als Gesprächspartner. Sie bringt nicht die eine endgültige Wahrheit, sondern eröffnet einen Dialog – offen, kreativ und überraschend individuell.
3. KI als neuer Gesprächspartner
Bevor ich auf das eigentliche Thema – die KI-gestützte Traumanalyse – eingehe, möchte ich kurz erzählen, wie ich überhaupt auf die Idee kam, KI für meine Träume einzusetzen.
In den letzten Monaten habe ich mich wieder intensiver mit meinem Traumtagebuch beschäftigt und es vor kurzem in eine neue, plattformunabhängige Form gebracht. Mehr zu diesem Thema habe ich hier geschrieben. Schon während dieser Modernisierung stellte ich mir die Frage, wie ich meine vielen Träume systematischer betrachten und interpretieren könnte. Mit dem elektronischen Traumtagebuch lag die Idee nahe, softwaregestützt bestimmte Charakteristika zu untersuchen.
Zunächst dachte ich dabei gar nicht an KI, sondern an Analyse-Plugins für Obsidian (die Software, in der ich mein Traumtagebuch führe). Damit ließe sich z. B. herausfinden, welche Personen oder Orte wie oft auftauchen. Schließlich hatte ich mir nicht umsonst die Mühe gemacht, alle meine Träume aus Papier in ein digitales Format zu übertragen.
Doch bald merkte ich: Das geht mir nicht weit genug. Ja, ich könnte Statistiken erstellen oder Träume miteinander verknüpfen – und sicher manches daraus lernen. Aber würde mich das wirklich näher an den Kern des einzelnen Traums bringen? Genau das ist doch das Spannende: Was steckt dahinter? Wie fügt sich der Traum in meine psychologische Landschaft ein? Welche Rolle spielen meine Lebensumstände? Und vor allem: Was will mir der Traum eigentlich sagen?
Schon 2013 hatte ich einige Traumdeutungs-Sitzungen mit einer Expertin besucht. Dort las jeweils eine Person einen Traum vor, und die anderen halfen bei der Interpretation. Das war faszinierend, weil die Zuhörenden unvoreingenommener waren als der Träumende selbst. In diesen Sitzungen – manchmal zu zweit, manchmal zu dritt oder viert – hörte ich viele spannende Deutungen, die mir halfen, meine Träume besser zu verstehen.
Doch diese Methode hatte auch Grenzen: Jeder Mensch bringt eigene Erfahrungen und Vorstellungen mit, die unweigerlich in die Interpretation einfließen. C. G. Jung betonte daher die individuelle Natur der Träume und war überzeugt: Der Träumer selbst hält den Schlüssel zu ihrer Bedeutung.
Und hier kommt die Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel:
Was, wenn ich einen Gesprächspartner habe, der schnell auf riesige Mengen menschlichen Wissens zugreifen kann?
Was, wenn dieser Gesprächspartner unvoreingenommen ist? (Ob KI wirklich neutral ist, wird derzeit diskutiert. Für meine Zwecke ist sie es genug.)
Was, wenn ich im Dialog zusätzliche Kontexte geben und so die Analyse Schritt für Schritt verfeinern kann?
Mit diesen Fragen im Kopf saß ich eines Morgens nach einem besonders eindrücklichen Traum da – und beschloss: Warum nicht einfach mal ausprobieren?
4. Praktischer Einblick: Mein Ablauf mit KI und Traumtagebuch
4.1 Die Suche nach dem "idealen" Prompt
Wie so oft beim Einsatz von KI hängt das Ergebnis stark vom Prompt ab, also von der Eingabe, mit der der Dialog beginnt. Als ich begann, meine Träume mithilfe von KI zu betrachten, sahen meine Prompts zum Beispiel so aus:
„Bitte hilf mir, einen Traum zu analysieren: [Traumtext]“
„Ich habe heute etwas Spannendes geträumt: [Traumtext]. Hilf mir bitte, das Geträumte zu analysieren.“
„Bitte hilf mir, einen Traum nach C. G. Jung zu analysieren. Das ist der Traumtext: [Traumtext].“
Die Ergebnisse waren zwar immer interessant, aber auch sehr unterschiedlich. Also begann ich, mit verschiedenen Prompts zu experimentieren. Schrittweise näherte ich mich somit dem (für mich) idealen Prompt. Spannend war auch der Vergleich unterschiedlicher Modelle: So habe ich z. B. deutliche Unterschiede zwischen ChatGPT-4o und ChatGPT-5 festgestellt – weniger inhaltlich, sondern vor allem in der Interaktion und Aufbereitung.
ChatGPT-4o ist im Dialog proaktiver, interagiert intensiver und liefert mit weniger Schritten sehr umfangreiche Analysen, die oft direkt ins Traumtagebuch übernommen werden können. ChatGPT-5 wirkt dagegen nüchterner, weniger dialogorientiert, aber präziser und akademischer. Um denselben Umfang an Ergebnissen zu erreichen, sind hier meist mehr Dialogschritte nötig.
Aus meiner Erfahrung liefert ein guter Prompt bereits ein solides Grundgerüst für die Analyse. Durch gezielte Nachfragen und zusätzliche biografische oder kontextuelle Informationen lässt sich diese Schritt für Schritt verfeinern. Hilfreich ist es, wenn sich der Träumende im Vorfeld Gedanken gemacht, wichtige Abschnitte markiert oder erste Deutungen notiert hat. Diese Vorarbeit kann die KI-gestützte Analyse spürbar bereichern.
Der Prompt, der sich für mich bewährt hat und den ich für alle meine Traumanalysen mit KI mittlerweile verwende, sieht folgendermaßen aus:
Bitte analysiere einen meiner Träume aus jungianischer Perspektive. Beachte dabei insbesondere folgende Aspekte:
- Beziehe dich auf C.G. Jungs Archetypenlehre (z. B. Anima/Animus, Schatten, Selbst, Persona, Held usw.).
- Deute zentrale Symbole, Szenen, Figuren und Motive psychologisch und symbolisch.
- Stelle Bezüge zum Individuationsprozess her (z. B. Konfrontation mit Schattenaspekten, Integration innerer Gegensätze, Bewegung hin zur Ganzheit).
- Deute relevante emotionale Dynamiken und Ich-Konflikte (z. B. Widerstände, Übergänge, Schwellen).
- Erkenne wiederkehrende Themen oder Bezüge zu früheren Träumen, sofern ich solche nenne.
- Erstelle die Analyse in einem umfangreichen, zusammenhängenden, mehrabsätzigen Fließtext – geeignet für mein digitales Traumtagebuch in Obsidian.
- Beziehe zusätzlichen Kontext von mir (falls zur Verfügung gestellt) in die Analyse mit ein.
- Zusätzlich: Gib mir am Ende eine strukturierte Zusammenfassung der wichtigsten Traumelemente im folgenden Markdown-YAML-Format (achte bei der Formatierung auf Kompatibilität zu Obsidian):
personen: [ ... ]
stimmung: [ ... ]
orte: [ ... ]
symbole: [ ... ]
archetypen: [ ... ]
Hier ist Kontext (falls vorhanden) und mein Traum:
[Kontext (optional)]
[Traumtext]
Dieser Prompt verbindet zwei Welten: die Symboltiefe der jungianischen Psychologie und die Klarheit einer strukturierten Analyse. Er führt die KI dazu, meine Träume nicht beliebig zu deuten, sondern entlang archetypischer Muster und innerer Dynamiken. So entsteht ein Dialog, der zugleich tiefgründig und vergleichbar bleibt – und sich nahtlos in mein Traumtagebuch einfügt.
Archetypen (Anima, Schatten, Persona …): geben der KI eine klare psychologische Linse, durch die sie Symbole deutet.
Individuation & innere Konflikte: verankern die Analyse in Jungs Kernkonzept – der Bewegung zur Ganzheit.
Zusätzlicher Kontext: erlaubt, eigene Gedanken oder biografische Hinweise einzubringen und die Deutung zu verfeinern.
Markdown-YAML-Struktur: sorgt dafür, dass die wichtigsten Traumelemente sauber und konsistent in meinem Traumtagebuch in Obsidian abgelegt werden können.
4.2 Schritt-für-Schritt-Analyse
Nachdem ich im letzten Kapitel auf die Wichtigkeit des initialen Prompt eingegangen bin, will ich jetzt an einem konkreten Beispiel zeigen, wie ich bei der KI-gestützten Analyse vorgehe. Besonders spannend ist dabei, dass die KI nicht nur auf den ersten Input reagiert, sondern im Dialog Schritt für Schritt neue Schichten sichtbar macht.
Im folgenden Beispiel siehst du, wie aus einem einzelnen Traumtext durch Nachfragen, Kontext und Fokussierungen eine vielschichtige Analyse entsteht.
Traumanalyse für den Traum "Neutronium-Sulfid"
Gewähltes Modell: ChatGPT-5
[Initialer Prompt]
Bitte analysiere einen meiner Träume aus jungianischer Perspektive. [...].
(Hier verwende ich den Prompt, den ich im letzten Kapitel vorgestellt habe. In diesem Fall habe ich zusätzlich zum Traumtext Kontext bereitgestellt, ein Teil davon Eindrücke aus der Nacht, in der ich den Traum träumte und ein Teil davon biografischer Kontext zum Traumort.)
Kurzzusammenfassung Traum
Ich bin im Wohnzimmer meines Kindheitshauses. Es ist dunkel, der Lichtschalter erhellt nur einen kleinen, scharf kegelförmigen Bereich. Mein Vater überzeugt mich mit einer langen Diskussion, dass dies kein Traum sei, und verhindert so, dass ich luzid werde. Dann fragt meine Mutter, was wir in der Schule gemacht haben. Ich antworte: „Neutronium-Sulfid!“
(Hinweis: Die im Traumtext ursprünglich vorkommende Wohnadresse habe ich anonymisiert. Siehe dazu auch Kapitel 5.)
Technisch: Mit diesem ersten Prompt wird der Rahmen gesetzt: Jung’sche Perspektive, archetypische Symbolik, psychologische Deutung. Die KI liefert eine erste, breite Analyse.
[Zusätzlicher Kontext: Biografischer Hinweis]
Die Mutterfrage erinnert an echte Situationen: Sie stellte oft Fragen zu meinem Alltag, ohne selbst viel von sich preiszugeben.
Tiefergehende Analyse (Zusammenfassung)
Durch diesen Hinweis veränderte sich die Deutung: Die Mutter erscheint als Symbol für einseitige Kommunikation. Der Vater blockiert den Übergang ins Bewusstsein. Der Traum verdeutlicht ein Muster, in dem äußere Erwartungen die innere Freiheit einschränken.
Technisch: Hier wird sichtbar, dass Kontext-Feeding entscheidend ist: Gibt der Nutzer biografische Hinweise, nimmt die KI diese aktiv in die Deutung auf – die Analyse wird dadurch individueller und treffsicherer.
[Zusätzliche Anfrage: Bedeutung von „Neutronium-Sulfid“]
Bitte vertiefe die Analyse dieses Symbols.
Tiefergehende Analyse (Zusammenfassung)
„Neutronium“ steht für extreme Verdichtung, „Sulfid“ für Transformation und Zersetzung. Zusammen bilden sie eine paradoxe Substanz – ein Bild für Widerstand und schöpferische Autonomie. Deine Antwort ist also nicht zufällig absurd, sondern eine unbewusste Gegenbewegung: Statt dich anzupassen, antwortest du mit einer eigensinnigen, rätselhaften Formel.
Technisch: Mit einer Fokus-Nachfrage lässt sich ein einzelnes Symbol gezielt vertiefen. Dieser Schritt zeigt, wie iterative Prompts neue Schichten freilegen, die in der Erstantwort noch verborgen bleiben.
[Bitte um Integration aller Erkenntnisse]
Fasse die Analyse als Ganzes zusammen.
Integrierte Deutung (Zusammenfassung)
Der Traum zeigt ein Ringen zwischen Anpassung (Mutter), Autorität (Vater) und der eigenständigen Ausdruckskraft (Selbst). „Neutronium-Sulfid“ wird zum paradoxen Symbol einer neuen Sprache, die sich den Erwartungen entzieht. Der Traum spiegelt den Prozess der Individuation: die Bewegung hin zu einer authentischen Ganzheit.
Technisch: Mit einer Zusammenfassungs-Aufforderung bündelt die KI die bisherigen Schritte. Der Vorteil: Alles zuvor Genannte wird integriert, Widersprüche werden geglättet, und es entsteht eine konsistente „Endversion“.
Da der ganze Dialog mit ChatGPT den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen würde, habe ich hier für Interessierte eine Kopie des ganzen Dialogs im PDF-Format.
Um den Ablauf greifbarer zu machen, habe ich mein Konzept in einer Grafik verdichtet. Sie zeigt Schritt für Schritt, wie sich aus einem ersten Prompt durch Kontext, Vertiefung und Integration eine vollständige Analyse entwickelt.
4.3 Integration in mein Traumtagebuch – zwischen KI-Analyse und eigener Intuition
Wie bereits weiter oben erwähnt, verwende ich die Software Obsidian zur Verwaltung meines Traumtagebuchs. Da ich meinen Prompt für die Traumanalyse mithilfe von KI standardisiert habe, erhalte ich nun Analysen in einem stets vergleichbaren Format.
Besonders hilfreich ist dabei die automatische Erstellung von YAML-Blöcken für die Verschlagwortung von Trauminhalten durch ChatGPT. Diese Struktur ermöglicht eine tiefere, traumübergreifende Analyse, zum Beispiel mithilfe von Plugins zur statistischen Auswertung.
Die Analyseergebnisse integriere ich in separate Markdown-Dateien, die ich mit dem ursprünglichen Traum verknüpfe. So bleiben Analyse und Traumtext physisch getrennt, sind aber über logische Verknüpfungen miteinander verbunden. Auch hier zeigt sich Obsidian als wertvolles Werkzeug: Die Software unterstützt die Verknüpfung von Dateien nahtlos und bietet dafür zahlreiche Hilfsfunktionen.
Wenn traumübergreifend Erkenntnisse entstehen, ist es z. B. auch möglich, einen Traum mit mehreren Analysen zu verknüpfen – oder umgekehrt eine Analyse mit mehreren Träumen. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.
Der Vorteil dieser Arbeitsweise ist, dass der feste Ablauf Routinen schafft, die es leichter machen, regelmäßig dranzubleiben. Ich habe zwar noch eine große Zahl von Träumen, die unanalysiert sind, und werde vielleicht auch nicht jeden Traum auswerten – neue Träume hingegen analysiere ich direkt und integriere sie in mein elektronisches Traumtagebuch.
Wichtig ist mir dabei: Ich übernehme aus der KI-Analyse nur die Aspekte, die für mich stimmig sind. Ganz im Sinne Jungs gilt auch hier: Der Träumer selbst weiß im Innersten am besten, welche Bedeutung Symbole oder Archetypen haben. Gleichzeitig gilt: Je mehr Kontextinformationen ich in den Dialog mit der KI einbringe, desto differenzierter und aussagekräftiger werden die Ergebnisse. Dennoch heißt das nicht, dass alles übernommen werden muss – oft kürze oder strukturiere ich Passagen um oder lasse Teile bewusst weg. Auch diese Auswahl und Bearbeitung ist ein wesentlicher Teil der Traumarbeit.
So wird mein Traumtagebuch nicht nur zu einem Archiv, sondern zu einem lebendigen Werkzeug der Selbstreflexion.
5. Bedenken & Privatsphäre: Ein verantwortungsvoller Umgang
Mein erster Gedanke, bevor ich überhaupt in Betracht zog, KI-gestützte Traumanalyse zu betreiben, war: Ist es wirklich eine gute Idee, persönliche Träume – die oft personenbezogene und höchst private Daten enthalten (z. B. Namen, Wohnorte, Berufe, Beziehungen) – in ein KI-System einzuspeisen?
Lange habe ich überlegt, wie ich das Risiko minimieren kann, dass private Daten in das KI-System gelangen, und wie ich trotzdem vernünftige Ergebnisse von einer Analyse bekomme. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass eine Strategie der Anonymisierung der beste Weg dafür ist. Ähnlich wie bei anderen Anfragen an eine KI, beispielsweise bei der Unterstützung beim Verfassen von E-Mails, werden alle personenbezogenen Daten durch Platzhalter ersetzt.
Folgender fiktiver Traumtext soll das Konzept kurz darstellen:
Ich befinde mich in der Albert-Einstein-Grundschule in Wittenberg und sehe, wie mein Klassenlehrer, Herr Schmidt, gerade aus dem Lehrerzimmer herauskommt. Er ist in Begleitung von Frau Bösch, welche einen roten Aktenordner in der linken Hand hält.
Ich stehe am Ende des Ganges, in welchem sich das Lehrerzimmer befindet. Frau Bösch winkt mir von weitem zu, allerdings habe ich gerade keine Lust mich mit den beiden Lehrern zu unterhalten.
Plötzlich sehe ich meine ehemalige Klassenkameradin Nicole in der Schulkantine sitzen. Ich gehe zu ihr hin und setze mich gegenüber von ihr auf einen freien Platz am Tisch. Sie betrachtet mich kritisch, fängt dann aber an zu lächeln und erzählt mir, wie sie damals meinen Bruder und meinen besten Freund Peter bei der Schulweihnachtsfeier mit einem harmlosen Streich geärgert hat. Ich finde das gar nicht lustig und protestiere lautstark.
Damit endet der Traum.
In diesem kurzen Text befinden sich bereits eine Menge personenbezogener Daten:
- Der Name der Grundschule: Albert-Einstein-Grundschule
- Der Ort, in dem die Schule steht: Wittenberg
- Der Name des Klassenlehrers von damals: Herr Schmidt
- Der Name der Kunstlehrerin von damals: Frau Bösch
- Der Name der ehemaligen Klassenkameradin: Nicole
- Der Name des besten Freundes: Peter
Um diese offensichtlichen personenbezogenen Daten zu anonymisieren, ersetze ich sie durch Textblöcke, die kurz beschreiben, wofür sie stehen. Das könnte beispielsweise so aussehen:
Ich befinde mich in der [Name_Grundschule] in [Name_Wohnort] und sehe, wie mein Klassenlehrer, Herr [Name_Klassenlehrer], gerade aus dem Lehrerzimmer herauskommt. Er ist in Begleitung von Frau [Name_Kunstlehrerin], welche einen roten Aktenordner in der linken Hand hält.
Ich stehe am Ende des Ganges, in welchem sich das Lehrerzimmer befindet. Frau [Name_Kunstlehrerin] winkt mir von weitem zu, allerdings habe ich gerade keine Lust mich mit den beiden Lehrern zu unterhalten.
Plötzlich sehe ich meine ehemalige Klassenkameradin [Name_Klassenkameradin] in der Schulkantine sitzen. Ich gehe zu ihr hin und setze mich gegenüber von ihr auf einen freien Platz am Tisch. Sie betrachtet mich kritisch, fängt dann aber an zu lächeln und erzählt mir, wie sie damals meinen Bruder und meinen besten Freund [Name_bester_Freund] bei der Schulweihnachtsfeier mit einem harmlosen Streich geärgert hat. Ich finde das gar nicht lustig und protestiere lautstark.
Damit endet der Traum.
In dieser Form hätte ich keine Bedenken, den Traum KI-gestützt analysieren zu lassen. Die Platzhalter verändern ja nichts an der Qualität des Traums: Für die Deutung ist es irrelevant, ob der Wohnort nun Wittenberg oder Innsbruck heißt. Um der KI dennoch Kontext zu geben, habe ich es mir angewöhnt, im initialen Prompt kurze Erläuterungen zu den Platzhaltern zu liefern, falls nötig. Bezogen auf das Beispiel oben könnte das so aussehen:
- [Name_Wohnort]: Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Dort bin ich in den Kindergarten, Grundschule und ins Gymnasium gegangen.
- [Name_Klassenlehrer]: Mein Klassenlehrer in der Grundschule und erster Lehrer überhaupt in meinem Leben. Konnte streng sein, war aber immer fair und freundlich.
- [Name_Kunstlehrerin]: Meine erste Kunstlehrerin. Sie war immer recht locker was unsere Projekte betraf, allerdings haben wir dadurch auch weniger gelernt als es vielleicht gut gewesen wäre.
- [Name_Klassenkameradin]: Verstand mich in der Grundschule gut mit ihr, wir waren aber nie richtig gut befreundet. Haben uns nach der Grundschulzeit aus den Augen verloren.
- [Name_bester_Freund]: Mein bester Freund damals. Wir haben nebeneinander gesessen und oft zusammen Unfug gemacht. Wir waren auch auf dem Gynasium noch gut befreundet, allerdings ist er nach der Unterstufe mit seinen Eltern in eine andere Stadt gezogen und wir haben den Kontakt verloren.
Der Name der Schule ist für die Analyse irrelevant, daher gebe ich hier keine zusätzlichen Kontextinformationen an. Welche Art von Kontext ich ergänze, hängt stark von der Grundstimmung des Traums ab und davon, ob ich das Gefühl habe, dass diese Information für die Deutung wichtig ist.
Mit Unterstützung von ChatGPT habe ich inzwischen ein einfaches Python-Skript entwickelt, das Anonymisierungen automatisch auf beliebige Texte anwendet. Dazu habe ich eine Tabelle erstellt, in der alle zu anonymisierenden Elemente (Namen, Wohnorte, Firmennamen, Schulnamen etc.) samt Platzhaltern hinterlegt sind. Zusätzlich habe ich jedem Platzhalter Kontextinformationen zugeordnet. So muss ich den Kontext nicht jedes Mal separat angeben, sondern kann ihn direkt aus der Tabelle extrahieren und in die Analyse einpflegen.
Meine Anonymisierungs-Tabelle sieht in etwa so aus (Werte fiktiv):
Subjekt / Objekt | Kategorie | Platzhalter | Kontext |
---|---|---|---|
Johanna | Person | [Person01] | Meine erste Freundin, mit der ich meine erste Liebesbeziehung hatte. |
Adrian | Person | [Person02] | Mein älterer Bruder. Ist drei Jahre älter als ich. Zu ihm habe ich eine gute Beziehung, allerdings sehen wir uns viel zu selten. |
HTL Eisenstadt | Schule | [Schule01] | Weiterführende Schule, in der ich meine Matura gemacht habe. |
Mit der Zeit wächst diese Tabelle natürlich, aber der Vorteil ist: Die eigentliche Anonymisierung der Trauminhalte erfolgt innerhalb weniger Sekunden. Auch die De-Anonymisierung der Ergebnisse geht ebenso schnell, sodass ich die Analyse sofort in mein Traumtagebuch übernehmen kann, ohne Platzhalter manuell ersetzen zu müssen.
Diese Strategie gibt mir ein gutes Gefühl: Ich bin in der Lage, meine Träume KI-gestützt zu analysieren – ohne unnötig private Daten preiszugeben.
Auch meine Strategie zur Anonymisierung habe ich in einer Grafik aufbereitet. Sie zeigt, wie aus einem nicht-anonymisierten Traumtext entweder händisch oder durch ein Python-Skript Platzhalter entstehen – und wie diese nach der Analyse wieder zurückverwandelt werden.
6. Zusammenfassung und Fazit
Wie so oft beim Schreiben meiner Artikel war ich erstaunt: Ein Thema, das ich zunächst für schnell erklärt hielt, hat am Ende doch viel Zeit beansprucht. Das zeigt mir, dass ich viel tiefer in dem Thema stecke, als ich mir selbst eingestehen würde.
Traumanalysen sind für mich eine spannende Form der Selbstreflexion und eine wertvolle Möglichkeit, Erkenntnisse über mich selbst zu gewinnen. Schon bevor ich begann, mit KI-gestützter Traumanalyse zu experimentieren, habe ich mich gefragt, was meine Träume bedeuten, was sie über meinen Alltag, meine Wünsche, Hoffnungen und Sorgen verraten – und wie ich diese Erkenntnisse in mein Leben integrieren kann.
KI ist nicht die Antwort auf alles – aber ein starkes, leistungsfähiges Werkzeug, das Träume in einen größeren Rahmen stellen kann. Sie eröffnet die Möglichkeit, Träume aus Blickwinkeln zu betrachten, die für den Träumer oder die Träumerin vielleicht nicht sofort erkennbar sind.
Neben meiner eigenen Interpretation, meinem Gefühl und meiner Erfahrung bietet die Analyse durch KI Zugang zu einem umfangreichen Wissensschatz der Menschheit. Dadurch werden Analysen in einem erweiterten Kontext möglich: Ich entdecke Muster, die ich sonst vielleicht übersehen hätte – und sie inspiriert mich, mein Traumtagebuch regelmäßig zu pflegen und auf die Stimme meines Inneren zu hören. Gleichzeitig weiß ich, dass ich nicht alle Elemente einer KI-Analyse übernehmen muss. Ich entscheide, was sich stimmig anfühlt.
Ich werde mich auf jeden Fall weiter mit dem Thema beschäftigen, verschiedene KI-Modelle ausprobieren, meine Prompts verfeinern und meine Erkenntnisse vertiefen.
Und dir, liebe Leserin, lieber Leser, möchte ich danken, dass du bis hierher am Ball geblieben bist! Hast du schon mit dem Gedanken gespielt, KI zur Traumanalyse einzusetzen? Wenn ja: Welche Erfahrungen hast du gemacht? Wenn nein: Was hat dich bisher davon abgehalten? Und welchen Traum würdest du als erstes der KI anvertrauen? Schreib es mir gerne in die Kommentare unterhalb dieses Artikels!
Titelbild: Foto von Ameer Basheer auf Unsplash