Abschied vom Standardmodell

Vor mehr als drei Jahren ist etwas in meinem Leben geschehen, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es gerade mir passieren würde. Es war eines jener Dinge, bei denen man immer denkt, dass nur anderen Menschen sie erleben. „Mir wird das nie passieren!“ oder „In so einer Situation werde ich nie stecken!“, habe ich früher gedacht.

Und dann ist es plötzlich passiert: Meine Ehe ist zusammengebrochen. Kollabiert. Es war vorbei. Im ersten Moment konnte ich nicht fassen, was da gerade passiert war. Ich hatte das Gefühl, dass ich neben mir stehe, dass ich alles aus der Perspektive einer anderen Person wahrnehme. Oder war ich gar in ein Paralleluniversum geraten?

Erst ein paar Wochen davor hatte ich erfahren, dass ich Vater werden würde. Und dann diese Katastrophe! Selbst jetzt, über drei Jahre später spüre ich noch, was diese Situation damals mit mir gemacht hat.

Dabei war es eine angekündigte Katastrophe. Die Zeichen waren überall zu sehen und zu spüren. Ich bin keiner jener Männer, die total überrascht sind, wenn sich deren Partnerinnen trennen. Nein, ich habe tief in meinem Inneren gespürt, was kommen wird. Vielleicht habe ich sogar unterbewusst darauf hingearbeitet?

Es mag paradox klingen, aber als die Tatsachen auf dem Tisch lagen, habe ich trotz dem ganzen Schmerz, der ganzen Trauer und der Verzweiflung auch etwas gespürt, was ich im ersten Moment nicht erwartet hätte: Hoffnung. Hoffnung, dass bessere Zeiten für mich kommen werden. Hoffnung, dass es noch weitere Dinge in meinem Leben gibt als das, was andere Menschen von mir erwarten.

Diese Hoffnung hat mir in der schwierigen Zeit nach der Trennung sehr geholfen. Denn in erster Linie ist diese ein emotionaler und organisatorischer Albtraum, vor allem wenn Kinder im Spiel sind. Es hat viel diplomatisches Geschick, Fingerspitzengefühl und Geduld erfordert, diese turbulente Zeit zu überstehen. Die Arbeit hat sich jedoch gelohnt: Heute bin ich sehr glücklich und stolz darauf, dass ich zu meiner Ex-Frau eine sehr gute Beziehung habe, basierend auf der Tatsache, dass wir Eltern sind. Dadurch können wir gemeinsam die volle Verantwortung für unseren Sohn übernehmen, ohne uns in Konflikten zu verlieren. Das ist gerade nach Trennungen und Scheidungen leider nicht selbstverständlich. Aber ich weiß, dass mein Sohn davon am meisten profitiert. Er bekommt von uns beiden die Liebe, Nähe und Aufmerksamkeit, die jedes Kind verdient hat (aber leider nicht jedes erhält). Das ist unglaublich viel Wert.

In meinem Artikel „Wonach sehnst Du Dich?“ habe ich über Lebenspläne geschrieben und wie diese im Handumdrehen obsolet werden können. Meine Trennung ist ein klassisches Beispiel dafür, wie schnell das tatsächlich gehen kann. Jedoch war es nicht mein Lebensplan, der dabei in die Brüche ging. Nein. Es war der Lebensplan, den ich bei vielen Menschen gesehen und als „normal“ vermittelt bekommen habe. Sozusagen das arithmetische Mittel vieler Erwartungen und kollektiver Vorstellungen darüber, wie eine Familie auszusehen hat, was „man“ dafür tun muss und wie „es sich gehört“.

Bilderfamilie mit Mama, Papa, zwei Kindern, Haus und Auto

Das Standardmodell, wenn es um das Thema „Familie“ geht, besteht aus folgenden Elementen: Vater und Mutter (im Idealfall verheiratet), Kind Nr. 1, Kind Nr. 2, Haus (mit Garten, alternativ ist aber auch eine schicke Wohnung akzeptabel), ein oder zwei Autos, Haustiere (optional).

Doch ist dieses Standardmodell für jeden Menschen das Richtige? Für viele bestimmt. Wahrscheinlich sogar für die Mehrheit. Denn es gibt Struktur, Sicherheit und Orientierung. Und das ist gerade wenn man Kinder hat (oder will) ziemlich wichtig. Doch es setzt auch voraus, dass Menschen an diesem Konstrukt festhalten und sich innerhalb dieser eng definierten Strukturen bewegen können (und vor allem wollen).
Dass gerade das nicht so einfach ist, sieht man an den relativ hohen Scheidungsraten (2017: 37.67 % in Deutschland, 40.45 % in Österreich, Quelle https://de.statista.com/). Mehr als jedes dritte Paar lässt sich gemäß Statistik also irgendwann scheiden. Und dann bricht diese Struktur in sich zusammen.

Ist es also besser, sich nicht auf dieses Standardmodell einzulassen? Ich würde das nicht pauschal bejahen. Ich erachte es aber für essenziell, dass jeder sich mit seinen Wünschen, Träumen und Sehnsüchten auseinandersetzt. Und zwar ehrlich und ohne den Einfluss anderer Menschen. Und im Idealfall lange bevor Themen wie „Ehe“ oder „Kinder bekommen“ aktuell oder akut werden.
Ich weiß aber auch aus eigener Erfahrung, wie schwierig das ist. Es erforderte unglaublichen Mut, mir einzugestehen, dass das Standardmodell nicht das ist, was ich mir wünsche. Und die Courage, diesen Gedanken überhaupt denken zu dürfen, habe ich leider erst aufgebracht, als der Schaden schon angerichtet war.

Mama und Kind, Papa alleine
Mein Sohn fühlt sich wohl bei der Mama ...

Die größten Sorgen habe mir nach der Trennung übrigens folgende Fragen bereitet:

  • Werde ich meinen Sohn regelmäßig sehen können?

  • Werde ich eine tiefe Beziehung zu ihm aufbauen können?

  • Oder werde ich als Vater nur im Hintergrund stehen?

Alle diese Sorgen und Ängste haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil: Ich habe eine wunderbare Beziehung zu meinem Sohn.

Manchmal überlege ich mir, wie es gewesen wäre, hätten wir uns nicht vor drei Jahren getrennt. Hätten wir die Ehe "reparieren" können? Oder hätte sich die Krise nur verschoben zu einem Zeitpunkt, an dem mein Sohn älter gewesen wäre und dadurch alles bewusster miterlebt hätte? Ich glaube, dass wir uns früher oder später trotzdem getrennt hätten. Außerdem denke ich, dass die darauf folgende Krise noch viel schwieriger für uns beide zu bewältigen gewesen wäre, als jene, die wir jetzt schon durchlebt haben. Aber das ist natürlich nur Spekulation. Vielleicht wäre auch alles anders gekommen.

Kind beim Papa, Mama alleine
... und natürlich auch beim Papa!

Nachdem mir nun bewusst ist, dass ich mein Leben anders leben will als die Gesellschaft und das Standardmodell es vorgeben, stelle ich mir oft die Frage: "Wie geht das eigentlich?". Ich glaube nicht, dass ich eine schnelle Antwort darauf finden werde. Jedoch weiß ich, dass es sehr spannend für mich ist, dieser Frage nachzugehen und die verschiedenen Möglichkeiten zu erforschen. Meine Träume zeigen mir oft sehr direkt, manchmal aber auch auf subtile Art und Weise, dass es für mich an der Zeit ist, die ausgetretenen Wege zu verlassen.

In der letzten Folge von Star Trek: The Next Generation ("All Good Things") gibt es eine schöne Szene: Captain Picard muss in dieser Episode ein Rätsel lösen, das es erfordert, dass er sich der konventionellen Denkmuster entledigt und über den Tellerrand hinaus denkt und handelt.
Es stellt sich heraus, dass das nahezu omnipotente Wesen Q für diese Aufgabe verantwortlich war und Picard und seiner Crew mit dieser zeigen wollte, dass es im Leben um die Erforschung der ungeahnten Möglichkeiten der Existenz geht, nicht um das, was alle machen (symbolisiert durch die Kartografierung von Sternen und Nebeln):

That is the exploration that awaits you. Not mapping stars and studying nebulae, but charting the unknown possibilities of existence!
Q in Star Trek: The Next Generation - "All Good Things"

Der Vergleich ist vielleicht etwas abstrakt, aber auf meine Situation bezogen entspricht die Trennung der Lebensform Q. Erst durch diese wurde mir richtig bewusst, dass es mehr im Leben gibt als Familienmodelle und Lebenspläne, denen zwar jeder nacheifert und die doch nicht für jeden geeignet sind.

Und es ist dieses Bewusstsein, dass es mir erlaubt, vom Standardmodell Abschied zu nehmen:

Und zwar in Frieden, ohne Reue und ohne schlechtes Gewissen.


Was ist Dein Lebensmodell? Orientierst Du Dich am Standardmodell? Oder hast Du andere Erfahrungen gemacht?
Über einen Kommentar von Dir per DISQUS oder per Email würde ich mich freuen!



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